Über eine audiophile Entdeckung
Noch vor einigen Jahren war ich der Meinung, dass nur Dumpfbacken nach Südtirol fahren – wo die → Kastelruther Spatzen residieren und vor einem halben Jahrhundert → revanchistische Tiroler den Anschluss an Österreich herbeibomben wollten. Es kam dann anders, als wir 2014 für einen Kurzurlaub Freunde ins Tal der Eisack begleiteten und erkannten, dass der Weg von Berlin nach Südtirol nicht weiter ist als der nach Norwegen, der Süden aber weitaus abwechslungsreicher und vielseitiger ist. Damit meine ich nicht nur die alpine Landschaft, sondern die überbordende Fülle der Kultur – zu deren politischen Facetten auch die → veränderliche Autonomie der italienischen Provinz Bozen gehört.
Ist das Interesse an Südtirol erwacht, geraten auch TV-Sendungen wie → „Ein Sommer in Südtirol“ in den Blick – ein 90-minütigen Beitrag im leider vorherrschenden Bilderbuch-Modus mit musikalischem Geplänkel zur Untermalung. Dort geht es ab Minute 57:37 um die → ladinische Sprache und die junge Musikerin → Anita Obwegs aus → Ladinien. Die Frage, warum sie auf ladinisch singt, beantwortet Anita Obwegs mit dem Hinweis auf ihre Muttersprache, die ihr spontan über die Lippen komme und sich gut singen lasse, weil sie viele Vokale hat; man könne sie leicht in eine Melodie verwandeln, schon beim Sprechen habe sie etwas sehr Melodisches. Hier zeigen sich bereits Musikalität und Natürlichkeit der jungen Künstlerin, was zwei kurze Auzüge ihres musikalischen Repertoires unterstreichen.
Die beiden kurzen Hör- und Sehproben veranlassten mich zum Suchen. Gefunden habe ich das bereits 2013 produzierte Album „T’amez“ von A&Z with Anita & Zenzo. Als einzige → Bezugsquelle ist Amazon auszumachen, wo ich aus zwei Gründen ungerne einkaufe: Weil der große Strom viel mit dem Ladensterben in unseren Städten zu tun hat, und weil der Download nur als → MP3 angeboten wird, ich aber als Freund → audiophiler Tonträger das Dateiformat → FLAC bevorzuge.
Hier konnte ich aber nicht anders und habe für 9,99 Euro dreizehn erstklassige Tracks mit einer Spielzeit von 52 Minuten aus der Rubrik Singer/Songwriter erworben, aus der Mitte Europas mit ladinischen, deutschen, italienischen und englischen Texten, vorgetragen mit der herausragenden Stimme von Anita Obwegs und instrumental überzeugend begleitet unter anderem durch ihren Vater Zenzo Obwegs. Beim Abspielen auf meinem digitalen Medienplayer präsentierte sich die Aufnahme dann nicht nur mit einer angezeigten Sampling-Rate von 44 kHz/24 Bit, sondern überzeugte auch mit sehr gutem Klang, der audiophil trainierten Ohren entgegen kommt. Es ist hörbar, dass Benni Valentin als Tontechniker im Studio saubere Arbeit am Mischpult geleistet und sorgfältig in MP3 formatiert hat. Dennoch: Für den audiophilen Hörgenuss, zu dem das Album von Anita und Zenzo Obwegs einlädt, bleibt ein verlustfreies Datenformat wie FLAC wünschenswert …
Anita Obwegs hat eine auffallend gute Stimme, beherrscht aber auch das Spiel mit Akkordeon, Gitarre, Flöte und Klavier. Das Album „T’amez“ ist insgesamt den Rubriken Singer/Songwriter und Folk zuzuordnen. Die Songs verweisen aber auch auf Country und Pop; sogar Bezüge zu World-Music stellen sich ein, wenn alpenländisches Jodeln und Akkordeon („Anterstone“) oder nordafrikanische Klänge („Marocco“) mit global vertrauten Rhythmen harmonieren.
Zwölf der dreizehn Songs von „T’amez“ sind in mäßiger MP3-Qualität → auf Youtube zu hören; nur „Follow me“ ist dort nicht dabei. Einige der Songs haben das Zeug zum Ohrwurm; keinen mag ich in dem Album missen, und zwei gefallen mir besonders gut: „Emma“, das es auch → als hochwertiges Video gibt und bei dem Anita Obwegs wie die südtiroler Antwort auf die Norwegerin → Kari Bremnes klingt, sowie „Follow me“ mit seinem sehr rockigen Sound.
„T’amez“ macht Lust auf mehr. Die Suche nach Mehr zeigt, dass „T’amez“ das zweite Album von Anita & Zenzo ist – ihre → Debut-CD „Acustica“ war bereits 2009 erschienen. Leider lässt sich für dieses Debut-Album keine einzige Hörprobe oder Bezugsquelle mehr finden, fast so, als ob es nie existiert hätte. Sollte jemand diesen Post lesen und ein Exemplar von „Acustica“ besitzen: Bitte melden!
Offen bleibt, ob Anita Obwegs irgendwann eine neue audiophile Perle veröffentlicht – dann hoffentlich bei → bandcamp oder → qobuz statt amazon …
Update
Ja, Anita Obwegs ist rückfällig geworden: → Forza
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