Eine Zeitung respektiert ihre Leser
Wann ich das letzte Abonnement einer Tageszeitung enttäuscht, nein ermüdet gekündigt habe, weiß ich nicht mehr. Es ist Jahre her. Den zunehmend orchestriert wirkenden, schlecht oder gar nicht recherchierten Einheitsbrei mochte ich nicht mehr mit einem Abo unterstützen. Obendrein gaben sich manche Blätter nicht mal mehr die Mühe, ihre Texte von Schreibfehlern frei zu halten. Mit dem Internet gab und gibt es Alternativen, zum Beispiel Newsletter freier Journalisten oder die eigene Presseschau mit vergleichendem Blick in Webseiten verschiedener Zeitungen.
Ab dem 24. Februar 2022 reichten die deutschen Blätter nicht mehr für ein tragfähiges → Lagebild. Der Rückgriff auf internationale Quellen und den → Telegram-Messenger ist seitdem unvermeidlich, um der längst eingerissenen Hofberichterstattung und allzu offensichtlichen Westpropaganda zu entgehen. Daran halte ich auch heute fest, der hiesigen Journaille traue ich nicht mehr viel zu.
Eine Tageszeitung aber ragt wie ein Leuchtturm aus dem Dunkel der dystopischen Sprachregelungen heraus und wird seit einem halben Jahr von mir im Abonnement bezogen (Print am Wochenende und Digital): die → Berliner Zeitung. Seitdem genieße ich wieder auf Sofa oder Loggia die gedruckten Wochenendausgaben einer Zeitung, deren Redaktion ihren Lesern zutraut, von Hintergründen, offenen Fragen und Widersprüchen nicht traumatisiert zu sein. Mit ihren Artikeln, Interviews und der Auswahl von Gastbeiträgen zu Innenpolitik und (das sogar mit eigener Rubrik) zu Geopolitik macht die Redaktion das, was von Journalismus als → Vierte Gewalt erwartet werden darf: kritische Beobachtung der Machtinhaber. Siegfried Weischenberg formuliert in seinem 2018 erschienenen Buch → Medienkrise und Medienkrieg, dass man die öffentliche Aufgabe, die der Journalismus nach höchster Rechtsprechung wahrnehmen soll, „inzwischen mit der Lupe suchen“ müsse. Bei der Berliner Zeitung wird man fündig.
Dass das propagandistische RND die Berliner Zeitung in einer Aufzählung „einschlägiger Medien“ im Kontext von Desinformation → nennt, muss Herausgeber und Redaktion nicht anfechten; dazu besteht kein Grund. Und das hier gezeigte, mit Blick auf die heutigen Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen und die begleitende Hysterie in Politik und Medien treffsicher („FYI.“) gestaltete Titelblatt der Wochenendausgabe vom 31. August/1. September 2024 gibt Anlass, hiermit Danke zu sagen für souveräne Arbeit zu Gunsten des Souveräns: das Staatsvolk dieses Landes.
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